Hirntumoren
Entwicklungsneurobiologie und Pädiatrische Neuroonkologie
AG Schüller
Hirntumoren sind die zweithäufigsten Krebserkrankungen im Kindesalter. Um aufzudecken, wie sie entstehen, ist es unverzichtbar zu erfassen, wie das Gehirn sich entwickelt. Die Forschungsprojekte der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ulrich Schüller verbinden Entwicklungsneurobiologie und Neuroonkologie, um kindliche Gehirntumoren zu verstehen, besser zu erkennen und gezielt zu behandeln. Im Fokus stehen Medulloblastome, atypische teratoid/rhabdoid Tumore (AT/RT) und Ependymome. Dafür werden Proben von kindlichen Gehirntumoren morphologisch und molekular aufwendig analysiert, in vitro Analysen durchgeführt und transgene Tiermodelle eingesetzt.
Von vielen Tumoren ist bekannt, dass sie pathologische Veränderungen innerhalb des SMARCA4 Gens aufweisen. Im Bereich der pädiatrischen Neuroonkologie gilt dies vor allem für Rhabdoidtumoren und für Medulloblastome. Für die Rhabdoidtumoren konnte die AG Schüller zeigen, dass Tumoren mit SMARCA4 Mutationen eine eigene Subgruppe darstellen, die sich klinisch und molekular gut von den übrigen Rhabdoidtumoren abgrenzen lässt (siehe Holdhof et al. Acta Neuropathol 2021). Innerhalb der Medulloblastome sind solche Mutationen vor allem bei WNT-Medulloblastomen und bei Medulloblastomen der Gruppe 3 aufgefallen. Die Funktion dieser Veränderungen ist jedoch häufig unbekannt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich daher auf vielfache Weise mit der Frage, welche Rolle SMARCA4 für die Entwicklung des Nervensystems (siehe z.B. Holdhof et al., Development 2021). und für die Entstehung von Tumoren des Nervensystems spielt. Dabei möchten sie beantworten, wann, wo und wie ein funktionell intaktes SMARCA4 für die Gehirnentwicklung benötigt wird, wie ein pathologisch verändertes SMARCA4 die Entstehung von Tumoren initiieren oder beschleunigen kann, ob es zur Metastasierung beiträgt und/oder mit einem aggressiveren Tumorwachstum einhergeht und inwieweit SMARCA4 eine therapeutische Zielstruktur darstellt.
Atypische teratoide/rhabdoide Tumoren (AT/RT) sind seltene, hoch aggressive Tumoren, die im Rückenmark und Gehirn vorkommen. Der exakte zelluläre Ursprung dieser Tumoren ist immer noch nicht ganz klar, auch wenn die AG Schüller zu diesem Thema schon relevante Beiträge leisten konnte (siehe z.B. Moreno et al. J Neurosci 2014; Graf et al. Nat Commun 2022). Rhabdoidtumoren treten häufig in den ersten zwölf Lebensmonaten eines Kindes auf. Ursache sind Mutationen in zwei unterschiedlichen Genen SMARCA4 und SMARCB1. Besonders schlecht ist die Prognose der jungen Patienten sollte es zu einem Tumorrezidiv oder gar zu einer Metastasierung kommen. An diesem Punkt stehen nur noch sehr wenige Therapieoptionen zur Verfügung. Das liegt auch daran, dass die Mechanismen, die zum Rezidiv oder zur Metastasierung führen, weitestgehend unbekannt sind. Deshalb forscht die Arbeitsgruppe intensiv daran zu verstehen, welche Charakteristika Rezidivtumoren von Primärtumoren unterscheiden. Etwaige Veränderung, zum Beispiel auf genetischer, epigenetische oder transkriptioneller Ebene, die erst im Rezidiv nachzuweisen sind, möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler funktionell in vitro und gegebenenfalls in vivo validieren und auf ihre therapeutische Angreifbarkeit hin überprüfen.
Ependymome sind teils sehr aggressiv wachsende Tumore des zentralen Nervensystems. Sie entstehen aus entarteten Zellen des Gehirns oder des Rückenmarks. Während die intrakraniellen Tumoren vor allem im Kindesalter auftreten, sieht man die spinalen Ependymome vor allem im Erwachsenenalter, es sei denn, es liegt eine Neurofibromatose vor, die schon früh mit solchen spinalen Tumoren einhergehen kann (siehe z.B. Kresbach et al., Acta Neuropathol 2021; Kresbach et al., Brain Pathol 2022). Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich derzeit intensiv mit der Korrelation morphologischer und molekularer Merkmale mit dem klinischen Verlauf dieser Erkrankungen. Dabei nehmen die Forscherinnen und Forscher auch die inter- und intratumorale Heterogenität der Tumoren ins Visier, deren klinische Bedeutung bislang kaum Beachtung fand. Methodisch kommen dabei unter anderem globale Methylomanalysen sowie DNA und RNA Sequenzierungen zum Einsatz, die mitunter auf Einzelzellebene oder räumlich aufgelöst durchgeführt werden (scSeq bzw. spatial omics Analysen).
Die präzise molekulare Diagnostik von Hirntumoren setzt bislang die Analyse von neurochirurgisch entnommenen Gewebeproben voraus. In Ergänzung zur gewebsbasierten Diagnostik nutzen wir Nanopore Sequenzierungen, um zellfreie DNA in Liquorproben zu charakterisieren. Wir bestimmen damit Kopienzahlprofile und das globale Methylom und können so die entsprechenden Merkmale der DNA mit großen Datenbanken abgleichen und eine exakte molekulare Einordnung des Hinrtumors vornehmen. Hiermit lassen sich Hirntumoren diagnostizieren, bei denen einen Gewebsbiopsie sehr oder zu risikoreich ist. Zudem lassen sich chirurgische Eingriffe angesichts einer bekannten molekularen Diagnose individueller planen sowie Resterkrankungen und Rezidive leicht und früh detektieren. Mittelfristig soll die Technologie in klinische Studien implementiert werden, um Patienten basierend auf den molekularen Ergebnissen der Liquordiagnostik zu randomisieren
Medulloblastome sind metastasierende Tumoren des Kindesalters, an denen trotz eines relativ guten Verständnisses der Erkrankung immer noch viele Patienten versterben. So konnte die AG Schüller wichtige Beiträge zum Verständnis leisten, wo und wie genau diese Tumoren entstehen (siehe z.B. Schüller et al. Cancer Cell 2008; Grammel et al., Acta Neuropathol 2012; Merk et al., Dev Cell 2018), und auch Inhibitoren des Sonic Hedgehog (SHH) Signalwegs konnten bereits erfolgreich zur Tumorbekämpfung eingesetzt werden. Weil man allerdings in Kindern inakzeptable systemische Nebenwirkungen dieser Inhibitoren beobachtet hat, arbeiten wir derzeit an neuartigen lokalen Therapieansätzen in Form intraventrikulärer Medikamentenapplikationen. Hierbei kommen auch zuvor von den Forscherinnen und Forschern entwickelte transgene Tiermodell zum Einsatz. Zudem versuchen sie, mit immunologischen Ansätzen gegen das EGFR Protein zusätzliche Wege zu finden, das Wachstum von SHH Medulloblastomen zu bremsen. Vor allem bei sehr kleinen Kindern, die nicht bestrahlt werden können und bei denen der SHH Subtyp des Medulloblastoms besonders häufig auftritt, sind solche neuen Ansätze besonders wichtig.
Maligne Gliome gehören zu den bösartigsten Tumoren des Kindesalters. Alternativ zu H3F3A hotspot Mutationen sind hier vor allem MYCN Amplifikationen als Tumor-treibende genetische Veränderung bekannt. MYCN amplifizierte Gliome, die in ca. 60 Prozent der Fälle auch TP53 Mutationen aufweisen, zeigen klar abgrenzbare Muster der globalen DNA Methylierung und Genexpression und grenzen sich auch klinisch von anderen Hirntumorentitäten des Kindesalters ab. In Vorarbeiten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hGFAP-cre::lox-STOP-loxMYCN,p53Fl/Fl Mäuse generiert, die maligne Gliome mit einer Überexpression von MYCN und einem Verlust von p53 ausbilden. Dieses Modell nutzen sie nun, um die Biologie und Behandlungsmöglichkeiten MYCN amplifizierter maligner Gliome besser zu verstehen. Zunächst soll der zeitliche und zelluläre Ursprung der Tumoren aufgeklärt werden. Anschließend soll das lokale Wachstumsverhalten, die Ausbreitung des Tumors und das unabhängige Wachstum in vitro und in vivo untersucht werden. Schließlich werden sie morphologisch und molekular analysieren, inwiefern murine und humane Tumoren vergleichbar sind, bevor in einem letzten Schritt erste zielgerichtete therapeutische Ansätze verfolgt werden sollen.
Nach dem Studium der Humanmedizin in Freiburg, Bonn und München promovierte Ulrich Schüller 2003 an der Universität Bonn zum Doktor der Medizin. Er begann seine ärztliche Tätigkeit am Institut für Neuropathologie der Universität Bonn, bevor er von 2005-2006 mit einem Stipendium der Deutschen Krebshilfe am Dana-Faber Cancer Institute der Harvard Universität in Boston forschte. Sein Interesse galt von jeher der Entwicklung des Nervensystems und der Entstehung kindlicher Gehirntumoren. 2007 setzte er seine Facharztausbildung zum Neuropathologen am Zentrum für Neuropathologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München fort und baute dort im Rahmen des Max-Eder-Nachwuchsgruppenprogramms der Deutschen Krebshilfe seine eigene Forschungsgruppe auf.
Es folgten Facharztanerkennung 2009 sowie Habilitation, Venia legendi und Ernennung zum Oberarzt 2010 in München. Nach nicht angenommenen Rufen an die Universitäten Würzburg und Lausanne folgte Ulrich Schüller 2016 dem Ruf auf eine Professur für molekulare pädiatrische Neuroonkologie an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wo er neben der wissenschaftlichen Tätigkeit am Forschungsinstitut Kinderkrebs-Zentrum Hamburg auch als Oberarzt am Institut für Neuropathologie tätig ist. Dort ist er vor allem verantwortlich für die Diagnostik kindlicher Hirntumoren und die molekulare Neuropathologie. Er fungiert als Referenzneuropathologe für die SIOP Ependyoma II Studie zur Behandlung von Kindern mit Ependymomen und als Referenzneuropathologe für die Bewertung von Liquorproben bei Kindern mit Hirntumoren. Zudem betreibt er die UKE core facility für globale Methylomanalysen.
Deutsche Krebshilfe
Else Kröner-Fresenius-Stiftung
Fritz Thyssen Stiftung
Werner Otto Stiftung
Wilhelm Sander-Stiftung
Gert und Susanna Mayer Stiftung
Gesellschaft für KinderKrebsForschung
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Schoof M, Godbole S, Albert T, Dottermusch M, Walter C, Ballast A, Qin N, Baca Olivera M, Göbel C, Neyazi S, Holdhof D, Kresbach C, Peter L, Epplen D, Thaden V, Blattner-Johnson M, Modemann F, Mynarek M, Rutkowski S, Sill M, Varghese J, Afflerbach A, Eckhardt A, Münter D, Struve N, Jones D, Remke M, Neumann J, Kerl K, Schüller U. Mouse models of pediatric high-grade gliomas with MYCN amplification reveal intratumoral heterogeneity and lineage signatures. Nat Commun 2023, 14(1):7717.
Holdhof D, Schoof M, Al-Kershi S, Spohn M, Kresbach C, Göbel C, Hellwig M, Indenbirken D, Moreno N, Kerl K, Schüller U. Brahma-related gene 1 has time-specific roles during brain and eye development. Developement. 2021;148(10):dev196147.
Merk D, Ohli J, Merk N, Thatikonda V, Morrissy S, Schoof M, Schmid S, Harrison L, Filser S, Ahlfeld J, Erkek S, Raithatha K, Andreska T, Weißhaar M, Launspach M, Neumann J, Shakarami M, Plenker D, Marra M, Li Y, Mungall A, Moore R, Ma Y, Jones S, Lutz B, Ertl-Wagner B, Rossi A, Wagener R, Siebert R, Jung A, Eberhart C, Lach B, Sendtner M, Pfister S, Taylor M, Chavez L, Kool M, Schüller U. Opposing effects of CREBBP mutations govern the phenotype of Rubinstein-Taybi syndrome and adult SHH medulloblastoma. Dev Cell, 2018. 44, 709–724.
Neumann J, Wefers A, Lambo S., Bianchi E, Bockstaller M, Dorostkar M, Meister V, Schindler P, Korshunov A, von Hoff K, Nowak J, Warmuth-Metz M, Schneider M, Müller-Renner I, Merk D, Shakarami M, Sharma T, Chavez L, Glass R, Chan J, Taketo M, Neumann P, Kool M, Schüller U. A mouse model for Embryonal Tumors with Multilayered Rosettes (ETMRs) predicts tumor responsiveness to Sonic hedgehog inhibitors. Nat Med. 2017; 23(10):1191-1202
Schüller U, Heine V, Mao J, Kho AT, Dillon AK, Han YG, Huillard E, Sun T, Ligon AH, Qian Y, Ma Q, Alvarez-Buylla A, McMahon A, Rowitch DH, Ligon KL. Acquisition of granule neuron precursor identity is a critical determinant of progenitor cell competence to form Hedgehog-induced medulloblastoma. Cancer Cell. 2008; 14: 123-134.
Gesamtverzeichnis der Publikationen: Pubmed